Chorkonzert vom 12.07.1987

Presse-Echo

Jedes Chormitglied ist fast ein Solist
Der junge Kerpener Madrigalchor gab eine Abendmusik in der Ulrichkirche in Sindorf

[Wilfried Ismar] In dem jungen Madrigalchor Kerpen stand der Sindorfer Kantorin am Sonntag bei der geistlichen Abendmusik in der Ulrichkirche ein hochmusikalisches Team mit elf Frauen und zehn Männern zur Verfügung, denen es gelang, vier- bis siebenstimmige Motetten und einen Doppelchor, als achtstimmig, zu singen.
Auffallend viele junge Zuhörer waren in den vollbesetzten Kirchenbänken auszumachen. Ein Meisterwerk polyphoner Gesangskunst ist der Psalm 84 „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ von Heinrich Schütz, dem „deutschen Palestrina“! In tadelloser Linienführung bei ausgezeichneter Textdeklamation zeichneten die beiden Chöre , bestehend aus zwei Sopranen, Alt und Bariton sowie einer Männerchorbesetzung von zwei Tenören und zwei Bässen, die barocken Melodiebögen nach und ließen einen homogenen Chorklang vernehmen. Der psalmodierende Sprechgesang im Mittelteil des Werkes erinnerte direkt an ostkirchliche Gesänge. Nicht nur J. S. Bach, auch der von 1586 bis 1630 in Leipzig wirkende Thomaskantor Johann Hermann Schein zählt zu den Großmeistern der geistlichen Chormusik der Barockzeit beziehungsweise der ausgehenden Renaissance. In den beiden dargebotenen Chören aus seinem Israelsbrünnlein von 1623 „Zion spricht: Der Herr hat mich verlassen“ und vor allem in „Die mit Tränen säen“ lief der kleine Musterchor zu Hochform auf. Von unwahrscheinlicher Wirkung ist das chromatische Aufsteigen der fugierten Thematik zu Beginn des zweiten Chorsatzes, die synkopierten Stellen stehen moderner Chormusik in Nichts nach. Auch die auf- und abwärtslaufenden Tonreihen in „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ aus der geistlichen Chormusik von 1648 waren von größter Genauigkeit und Übereinstimmung. Schon lautmalerische Züge trug die nachfolgende Komposition von Felix Mendelssohn Bartholdy, ein Werk für Doppelchor. Die erzählenden Stellen trug eine einfache Besetzung vor, bei der eigentlichen Aussage trat meist der Doppelchor in Aktion, im Mittelteil vernahm man gregorianische Monodie, während der Chorsatz in voller romantischer Harmonik ausklang. Ein großartiges Stück ist dem von 1886 bis 1946 wirkenden Heinrich Kaminski mit seinem 130. Psalm „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir“ gelungen. Wie ein mehrmaliger Aufschrei das „Herr, wer wird bestehn?“ und von besonderer Wirkung der Mittelteil, wo über einem breit ausladenden Choral ein Solosopran in fast tänzerischer Triolenbewegung Hoffnung auf Erlösung erweckt.
Am Karsamstag des Jahres 1945 schrieb der damalige Kantor des weltberühmten Dresdner Kreuzchores, der 1889 geborene Rudolf Mauersberger, eine Trauermotette für vie- bis siebenstimmigen Chor „wie liegt die Stadt so wüst“ nach den Klageliedern des Jeremias. Dieses Werk wurde vom Madrigalchor in einer tollen Dynamik bewältigt. Von eigenartigem Reiz waren neben den vielen Quintgängen sowohl die herrliche Melodik über oft orgelpunktartigen Bass-Stellen, wie auch die durch Vorhalte immer wieder entstehenden neuen harmonischen Wendungen.
Johannes Brahms (1833-1897) schrieb die Motette für vier- bis sechsstimmigen Chor „Warum ist das Licht gegeben den Mühseligen“. Das Stück beginnt mit einem überaus breit angelegten Thema als Chorfuge und bietet überraschende Wendungen im mehrmals wiederholten „Warum“. Es klingt aus mit einem fast „bachartigen“ Choral „Mit Fried und Freud fahr ich dahin“. Und dann passierte etwas außergewöhnliches: nach einem nicht endenwollenden Beifall der Zuhörer war der Chor schon abgezogen, kam erneut zurück und sang das letzte Werk ein zweites mal – in funkreifer Aufführung!Nicht zuletzt gelang dieser Abend durch die mitreißende und temperamentvolle Gestik der Dirigentin, deren „sprechende Hände“ jede dynamische und tempomäßige Nuance mitvollzogen, wo kein Einsatz fehlte, ja fast die Atembögen körperlich angezeigt wurden. (Kölnische Rundschau vom 16.07.1987)